Adam Silvera: Was mir von dir bleibt

erschienen bei: Arctis, ab 14 Jahren

Vielfaltsmerkmale:

Homosexualität, Erfahrungen mit Tod, Erfahrungen mit Zwangsstörungen

KIMI-Faktor:

Adam Silvera gelingt ein weiteres Mal ein mitreißender und zutiefst bewegender Jugendroman über Liebe, Freundschaft und den Umgang mit Verlust. Die Geschichte ist realistisch und zugänglich und gewinnt gegen Ende immer mehr an Komplexität.

Inhalt: Den Tod der ersten großen Liebe zu verarbeiten, ist schwer. Genau damit ist Griffin konfrontiert. Er kommt ursprünglich aus New York, wo er mit Theo zusammen war und so einiges mit ihm durchgemacht und erlebt hat. Und obwohl er sich von ihm getrennt hat, um für sein Studium nach Kalifornien zu ziehen, hat Griffin noch lange gehofft, dass sie eines Tages wieder zusammenfinden würden. Doch dann stirbt Theo bei einem Unfall. Griffins Welt bricht zusammen. Seine Zwangsstörungen werden schlimmer. Er muss sich mit seiner schwierigen Vergangenheit auseinandersetzen. Dabei findet er einen unverhofften Verbündeten in Jackson – Theos letztem Freund, der ihm beim Bewältigen dieser Gefühle helfen kann, weil er sie auch fühlt.

Jurystimme: „Eine Story über einen schwulen Jungen ohne Angst und die gängigen Stereotypen.“

Buch hier erschienen!

Lara Schützsack: Sonne, Moon und Stern

erschienen bei: Fischer Sauerländer, ab 10 Jahren

Vielfaltskriterien:

Familienkonstellation, Trennung, psychische Erkrankung, Pubertät, erste Liebe

KIMI-Faktor:

Die Geschichte erzählt lakonisch, unsentimental von den Gefühlen eines Teenagers, dessen Familie gerade zerbricht und dessen Herz lernt, sich zu verlieben.

Inhalt: Gustav ist 11 Jahre alt und hat es schwer. Die Pubertisten-Schwestern nerven ohne Ende, hören Musik, motzen rum und alles dreht sich nur um Jungs. Gustav selber hat gerade einen merkwürdigen Vorgang an ihrer Brust entdeckt. Zwei kleine Erbsen haben sich da gebildet. Ist das Brustkrebs? Die Eltern Iris und Erik brauchen Distanz. Iris fährt erst einmal eine Woche mit ihrer Freundin nach Mallorca, Erik kümmert sich sowieso um Haushalt und Kinder. Iris verdient das Geld und hat die Hosen an, Erik versauert am Schreibtisch und macht irgendwie gar nix. Nun fällt auch noch der geplante rituelle Campingurlaub in Dänemark aus. Und heiß ist es auch. Gustav nimmt Sand, ihre Hündin, und geht raus. Mit dem Hund darf sie zwar nicht ins Freibad, aber sie treibt sich davor ein bisschen herum. Da sieht sie Moon, den Neuen aus ihrer Klasse, ein spezieller Typ mit Glitzerleggins und toller Zahnlücke, Flaschen sammeln. Sie findet ihn irgendwie spannend und geht jetzt öfter zum Freibad. Moon und Gustav verstehen sich gut, gehen zusammen einkaufen (Moon ist bekannt als Pfandeinlöser mit manchmal zu wenig Geld) und auch zu Moon nach Hause. Seine Mutter heißt Yella und Gustav mag sie gleich. Sie hat „Stimmungen“, weshalb Moon sich sehr um sie kümmern muss. Offenbar Depressionen, die sie oft ans Bett binden. Eigentlich studiert sie noch, sie ist eine elfenhafte, zauberhafte Erscheinung. Zuhause ist immer schlechtere Stimmung, der Vater wird immer mumienhafter, möglicherweise auch depressiv. Er kocht nicht mehr. Die Schwestern plagen sich mit Sommerakne, nölen weiterhin nur rum. Aber dann gibt es ein Projekt: Gustavs zwölfter Geburtstag wird als große Party geplant. Die Mutter ist noch immer auf Malle und der Vater fährt zum Festival. Er hat einen alten Freund, den Plattenladen-Robert und die Musik wiederentdeckt. Ganz viele Leute werden eingeladen, es wird laute Musik gespielt, Alk getrunken und geknutscht, und Gustav kann nicht in ihrem Bett schlafen, ist schon besetzt. Sogar Polizei taucht auf, würde aber eigentlich gern mitfeiern. dann um Mitternacht erscheinen die entsetzten Eltern. Schock! Alle fliehen (fast alle, bis auf die in Gustavs Bett) und die Eltern machen richtig Stress. Die Mutter greift durch, alle müssen aufräumen – Gustav geht da lieber und schaut mal nach Moon, der ist nämlich nicht gekommen, wegen Yella, stellt sich heraus, die er nicht allein lassen wollte in ihren Stimmungen. Aber er hat ein Geschenk für Gustav: eine Zeichnung. Sand geht es immer schlechter, sie mag nicht mehr laufen, pinkelt überall hin. Die Tierärztin kommt, eine sehr liebe kluge Frau, und erklärt, dass Sand als uralte Hundedame, auch dement inzwischen, am besten erlöst wird. So kommt es, und das ist so traurig. Am Ende hat Gustav eine Freundschaft (oder eine beginnende Liebesgeschichte?) mit Moon und auch mit Yella, und ihre Schwestern und sie werden wieder enger, naja, jetzt ist ja Gustav auch etwas pubertär geworden. Die Eltern dividieren sich weiter auseinander, und Gustav macht sich viele Gedanken über das Leben und die Liebe.

Jurystimme: „Nachdenklich, poetisch, besonders – so wie Gustav ist das ganze Buch.“

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Annette Mierswa: Not your girl

erschienen bei: Loewe, ab 12 Jahren

Vielfaltsmerkmale:

Erfahrungen mit sexueller Gewalt und Trauma, psychische Erkrankungen

KIMI-Faktor:

Ein gesellschaftskritischer Jugendroman, in dem es um zeitgemäße und erschreckend reale Tabu-Themen wie sexueller Missbrauch, das Modelbusiness, Alkohol, Drogen, Zwangsstörungen und die MeToo-Bewegung geht.

Inhalt: Tinkas größter Wunsch ist es, zu modeln, wie die Freundin ihres großen Bruders Theo. Donna ist ihr großes Vorbild und einfach perfekt. Doch nachdem Tinka auf einer Party vergewaltig wird, geht ihr ganzes Leben den Bach runter. Die 15-jährige zerstreitet sich mit ihrer besten Freundin Vivi und wird von den Leuten aus ihrer Klasse gemobbt. Die Folge: ein Wechsel auf eine neue Schule. Neuer Name, neuer Freundeskreis – new life? Tinka setzt alles daran, sich ein scheinbar perfektes Leben zu erschaffen. Unter ihrem neuen Namen (sie nennt sich jetzt Kim) gibt sie sich als Model aus und wird zur Fashionikone ihrer neuen Klasse. Ersteres wird zeitweise sogar zur Realität, als sie in einem Kaufhaus „entdeckt“ und zu einem Casting eingeladen wird. Tinka ahnt noch nicht, in welche Abgründe sie deswegen noch stürzen wird. Niemand darf sehen, wie sie immer weiter abstürzt und innerlich zerbricht.

Jurystimme: ‚‚Tinka war mir am Anfang sehr sympathisch, ich habe ihren Absturz mit Entsetzen verfolgt. Die Ereignisse häufen sich und sie wird immer weiter in den Abgrund gezogen. Echt krass wie schnell so etwas gehen kann.’’

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Antje Herden: Keine halben Sachen

erschienen bei: Beltz & Gelberg, ab 14 Jahren

Vielfaltsmerkmale:

Pubertät, Sucht, einseitige Liebe, Schizophrenie, Freundschaft

KIMI-Faktor:

Eine rasante, wahrhaftige und packende Geschichte über Pubertät und Sucht und deren Abgründe. Dieses intensive Buch belehrt und verharmlost nichts.

Inhalt:

Robin ist gelangweilt von der Schule und seinem Leben. Bis Leon in seine Klasse kommt. Er ist der coole Einzelgänger der während der Schulzeit im Park sitzt und lieber kifft und und selbstsicher spielt. Robin lässt sich hinreißen die Tage mit ihm zu verbringen und Drogen zu konsumieren. Es entsteht eine intensive Freundschaft in der auch Gefühle, Träume und Ängste gelebt werden. Eines Tages lernen sie Karla und Anna kennen und mit Karla nimmt sein Rausch an Fahrt auf bis zum Absturz. Nach einem Horrortrip auf LSD im Wald mit Karla, versucht Robins Mutter an ihn ran zu kommen und ihm zu helfen, was jedoch die Situation verschlimmert. Es eskaliert. Knapp dem Tod entronnen muss Robin erkennen, dass Leon vielleicht doch nicht einfach nur Leon aus seiner Schule ist.

Jurystimme: „Dieses Buch ist ein Trip, der einen berauscht.“

„ Ein wahnsinnig packendes Buch mit einem unerwarteten Ende.“

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Susan Kreller: Elektrische Fische

erschienen bei: Carlsen, ab 12 Jahren

Vielfaltsmerkmale:

Umzug in ein fremdes Land, psychische Erkrankungen, Suchterkrankung in der Familie, Freundschaft, Hilfe

KIMI-Faktor:

Eine äußerst facettenreiche Geschichte über Heimweh, Zerrissenheit und ein Ankommen zum einen, und über den schwierigen Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen zum anderen.

Inhalt: Nach der Trennung ihrer Eltern muss die 12-jährige Emma mit ihrer Mutter und ihren zwei Geschwistern von Dublin zu ihren deutschen Großeltern nach Mecklenburg-Vorpommern ziehen. Die wohnen in einem kleinen Dorf an der Ostseeküste und sind wenig begeistert davon, ihre Tochter nach zwanzig Jahren Abwesenheit mit ihren Kindern aufnehmen zu müssen. Emma vermisst ihre Heimat und tut sich schwer, sich in ihrer neuen Umgebung einzuleben, findet jedoch einen Freund in Lewin, einem Mitschüler, dessen Mutter psychisch sehr krank ist und für die sich Lewin schämt. Als die Freundschaft zwischen den beiden Jugendlichen enger wird, planen sie die gemeinsame Flucht nach Irland.

Jurystimme: „Leise, präzise und gestochen scharf erzählt dieser Jugendroman vom Verlust des Vertrauten, von Fremdheitserfahrungen und davon, was Familie zusammenhalten kann.“

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Ceylan Scott: Auf einer Skala von 1 bis 10

erschienen bei Chicken House, ab 14 Jahren

Vielfaltskriterien:

Normalität, Psychische Störungen, Mitgefühl

KIMI-Faktor:

Das Buch führt uns vor Augen, dass Menschen mit psychischen Störungen von uns gehalten werden müssen, um zu leben oder wenigstens dazu, um sich selbst überleben zu können.

Inhalt: Tamar ist dreizehn, vierzehn. Sie sitzt ein, in sich selbst drin sitzt sie und kommt nicht raus. Um sie davon zu heilen, sperren wir sie nochmal ein und nehmen ihr alles weg, womit sie sich verletzten könnte, alles was scharf ist, spitz, lang und dünn, heiß, alles was schneiden könnte, reißen, stechen, würgen, verbrennen, vergiften. Um sie davon abzuhalten, Gift zu nehmen, geben sie ihr legale Gifte in kaum noch erträglichen Dosen, denn schlafen muss sein, egal wie. Sie ist in ihrem doppelten Gefängnis und schaut raus, schaut auf die Anderen, blickt auf sich. Normal ist sie auf keinen Fall. Sie soll aber wieder normal werden und wäre es auch manchmal gern wieder, manchmal auch nicht, aber die Schmerzen sind oft zu groß, es noch aushalten zu können, deshalb müssen andere, stärkere Schmerzen her. Das ist alles verständlich, sie versteht und weiß es gut, doch es bringt sie um den Verstand. Sie hat nichts, wofür man sie bedauern würde, Mitleid mit ihr hätte. Man will sie nicht dafür in den Arm nehmen, nur Entsetzen vor ihr ist es, was sie spürt, und sie gibt ihnen Recht. Sie haben ja Recht, sie so abstoßend zu finden, darum muss sie sich wegmachen, sich bestrafen, denn nur sie allein trägt die Schuld. Sie sitzt in sich drin und kommt nicht raus. Ceylan Scott hat das selbst erlebt, wovon sie schreibt, und ist selbst kaum älter als Ihre Heldin: „Wie fühlst du dich heute auf einer Skala von 1 bis 10?“ – „Null“ – Einen Aufenthalt in der Jugendpsychiatrie, weil sie sich selbst gefährdet, weil sie sich ritzt, weil sie versucht hat sich selbst umzubringen und es wieder tun würde, weil sie sich schuldig hält am Tod ihrer Freundin. Ihre Mitinsassen werden ihre Freunde. Die Psychiatrie wird ihr Zuhause, mehr als ihr eigenes Zuhause, das ihr fremd geworden ist. Eine Mitinsassin ist noch verrückter als sie, aber sprüht vor Leben, so lange wie es eben ausreicht, das Leben. Ein anderer müht sich redlich zu essen, aber es gelingt ihm nur schwer. Gut, dass auch mal ein Junge dargestellt wird, mit einer Essstörung, denn das gibt es auch. Gerade noch machen die Pfleger Späße mit ihren Schützlingen, dann müssen sie auch schon einen unter Zwangsmaßnahmen setzen und ihm Spritzen verpassen und ruhigstellen, weil er ausgerastet ist.

Jurystimme: „Das ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden, nur auf einem anderen Weg, als ihn die Mehrheit beschreitet. Ein heftigerer, krasserer Weg, ein tieferer Weg, ein sehr schwerer und schwieriger Weg, ein harter Weg, ein Weg mit ungewissem Ausgang – wie jedes Erwachsenwerden. Jugendliche, denen es ähnlich geht wie Tamar, finden hier eine Leidensgenossin, die auch etwas Licht ins Dunkel des eigenen, zerwühlten Innern bringt, mit warmen Worten, mit Liebe zum Leben, mit Spott und Witz, mit herzlicher Verzweiflung. Jugendliche, die solche Freunde haben, die sind wie Tamar, können besser verstehen, was da vor sich geht in dem Anderen, der so anders geworden ist.“

„Dieses Buch ist unbedingt etwas für Erwachsene! – Eltern, Großeltern, Geschwister, Mitschüler*innen, Lehrer*innen, Verwandte und Bekannte können erfahren, was es heißt, solch einen steinigen Weg ins Erwachsenwerden gehen zu müssen – damit sie sich nicht abwenden, damit sie sich nicht entsetzten, sondern die Arme ausbreiten, umarmen und lieb haben, so schwierig es ist, so sehr sie gescholten und bespuckt werden von dem Noch-Kind, das sie da in die Arme schließen müssen, weil es gerade nicht anders kann, als sich wehren, nicht aus seiner Haut heraus kann, so so gern nicht in DIESER Haut leben möchte und sie sich deshalb aufritzt, damit es herausfließen kann aus dieser ungeliebten Haut.“

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Nikola Huppertz & Tobias Krejtschi: Meine Mutter, die Fee

36 Seiten, Tulipan, 15 Euro, ab 4 Jahren

Vielfaltmerkmale:
Psychische Erkrankung, Geschlechterrollen

ISBN-10: 9783864293696 ISBN-13: 978-3864293696

Der KIMI-Faktor:
Das Buch versucht ein für junge Kinder schwer greifbares Thema fassbar zu machen: Depression. Obwohl etwa jede vierte Frau und jeder achte Mann im Laufe des Lebens von einer Depression betroffen ist – und damit auch viele Eltern – findet das Thema in Kinder- und Jugendbüchern viel zu selten statt.
Die Rolle des Vaters ist sehr spannend. Körperlich sehr groß und stark gezeichnet, widerspricht sein Handeln vielen üblichen Geschlechterklischees: Er macht den Haushalt, pflegt die Mutter, ist sehr sanft und sensibel und immer für die Tochter da.

Inhalt:
Es ist die Geschichte des Mädchens Fridi, das erleben muss, dass die Mutter immer stärker an einer Depression leidet und sich verändert.
Schon das erste großflächige Bild des Buches zeigt, wie schwer diese Geschichte ist: Die Mutter liegt geschwächt im Nachthemd auf dem Sofa, abgewandt, Fridi

steht in der Tür und schaut hilflos zu ihrer Mutter – die unendlich weit weg erscheint. Der Text unterstreicht den inneren Kampf des Kindes – die „Anderen“ sagen: „Fridi, deine Mutter ist verrückt“. Aber Fridi will ihre Mutter nicht verrückt finden.
Und dann gibt es auch die Momente der Nähe – Fridi und die Mama schauen sich Bücher an, die Mama liest Gedichte vor, spielt für ihr Kind Querflöte.
Aber die ganze Zeit bleibt ein latent ungutes Gefühl – symbolisch angedeutet durch immer mehr vertrocknende Blumen im Hintergrund. Und die für ein Kinderbuch ungewöhnlichen Bilder, die an den Wänden der Wohnung hängen: Böcklins „Toteninsel“, der „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich und die „Abendlandschaft mit zwei Männern“. Auch die gedämpfte Farbgebung und der leichte Grauschleier, der die großflächigen Illustrationen überzieht, unterstreichen die melancholische Stimmung, die in der Familie herrscht. Als die Mutter sich immer mehr zurückzieht und auch ihre Musikschüler*innen vor der Tür stehen lässt, wandelt sich Fridis Stimmung in Wut: „Du bist ja doch verrückt! (…) Geh weg!“
Da tritt der Vater ins Bild: Ein großer, sehr stark wirkender Papa, ein echter Held. Auf den ersten Blick – auf den zweiten ist er sehr sensibel, übernimmt die Hausarbeiten, versorgt die Mutter. Der Vater erklärt Fridi, dass die Mutter eine Fee sei. Und nun ahnt man auch, was die angedeuteten Flügel, die die Mutter von Anfang an trägt, zu bedeuten haben.
Aber für Fridi ist ihre Mutter keine Fee, denn ihrer Ansicht nach sind Feen schön, und das sei die Mutter mit ihrem Nachthemd und den verstrubbelten Haaren nicht.
Der Zustand der Mutter verschlechtert sich zusehens, sie verlässt das Bett nicht mehr, liest nichts, redet nicht, hört „der Erde beim Rauschen zu“.
Der Vater versucht seiner Tochter zu erklären, dass die Mutter nun für einige Zeit fort muss – offensichtlich in eine Klinik. Er nennt das „die Welt der Feen“.
Bevor sich die Mutter auf „die Reise macht“, geht Fridi noch einmal zu ihr – und aus den angedeuteten Flügeln sind nun echte Feenflügel geworden. Die Mutter spielt nun noch einmal auf der Flöte und Fridi sieht: Ihre Mama ist tatsächlich eine Fee.
Schließlich ist die Mutter fort – und Fridi fürchtet, dass sie nicht wiederkommt. Auf der letzten Doppelseite sieht man ein sehr inniges, zärtliches Vater-Tochter-Bild.
Der Vater versichert, dass die Mama wieder nach Hause kommen wird – und Fridi fällt ein, „dass eine Fee für immer zu den Menschen gehört, denen sie sich zu erkennen gibt“, wie auch das Familienbild aus glücklichen Tagen auf der Kommode beweist.

Das sagt die Kinder-Jury:
Fridi als Heldin des Buches wurde sehr gemocht.
Einige Kinder waren irritiert darüber, dass die Mutter eine Fee ist. Sie diskutierten heftig darüber, ob das wirklich sein könne, ob ihre Flügel „echt“ seien und was das alles bedeute.
Insgesamt war das Thema „psychische Erkrankung“ eines Elternteils in dieser Form neu für die Kinder und es ergaben sich viele Fragen und Diskussionen.
Für andere Kinder war der Vater die interessantere Figur, die physisch sehr stark wirkend eine große Gefühlstiefe und Zärtlichkeit bietet. Und damit ganz anders ist als so große, starke Männerfiguren in anderen Büchern.

Das sagt die Erwachsenen-Jury:
Die Geschichte ist sehr poetisch und berührend – die Illustrationen unterstreichen das wunderschön.
Der innere Konflikt von Fridi – das Bild der Mutter zu bewahren, sie nicht als „Verrückte“ sehen zu wollen, aber dann der Zusammenbruch der heilen Welt, Wut, Enttäuschung, Angst vor Verlust – wird sehr authentisch und überzeugend dargestellt.
Aus unserer Sicht wäre es allerdings notwendig, dass Fridi neben der tröstenden Erklärung, dass die Mutter eine Fee sei, doch auch eine sachlich richtige, altersangemessene Begründung für den Seelenzustand ihrer Mutter erhält.
Die Thematik hat manches Kita-Kind überfordert: Möglicherweise ist dieses Buch eher für Kinder im Grundschulalter empfehlenswert.

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Kristina Aamand: Wenn Worte meine Waffe wären

Posted on 9. Mai 2019 by Suse Eich Bauer

übersetzt von Ulrike Brauns, 288 Seiten, Dressler, 16 Euro, ab 12

als eBook erhältlich

ISBN-10: 3791500988 ISBN-13: 978-3791500980

Vielfaltsmerkmale: Wertevielfalt, Toleranz, Religionen, Glauben, Geschlechterrollen, Homosexualität

Kimi-Faktor: Dieses Buch erzählt sanft, poetisch und eindrücklich, dass es immer mehrere richtige und oft doch sehr unterschiedliche Denkweisen über ein und dieselbe Sache gibt. So lässt sich letztlich nicht bestimmen, welche Sichtweisen richtig oder falsch sind. Es geht deshalb alleinig darum, auszuhandeln, auf welche Weise wir in Gesellschaften zusammenleben können.

Sheherazade, deine Worte verändern die Welt! Sie ist 17, lebt in Dänemark, ein Mädchen und die einzige Muslima an ihrer Schule. Sie hat es schwer und ihre Mutter feste Pläne für die Zukunft ihrer Tochter. Zudem wird die Mutter von Tag zu Tag religiöser. Ihr Vater leidet an den Erinnerungen an die Schrecken des Krieges und der Flucht. Schließlich muss er ins Krankenhaus. Das einzige, was Sheherazade hilft zu leben, sind ihre eigenen Worte, ihre Texte, die sie kunstvoll-provokativ mit Bildern verwebt. Und dann ist da zum Glück auch noch Thea. Als zunehmend Vertraute zeigt sie Sheherazade neue Blickwinkel auf das Leben. Und plötzlich hat sie keine Lust mehr zu schweigen, sondern möchte endlich für ihren Willen und ihre Freiheit einstehen. Sprachlich brillant erzählt und angereichert mit collagehaften Bildern einer mutigen Protagonistin.

Das sagt die Jugendlichen-Jury:

Kein leichter Einstieg für so manche Leser*in in der Jury, da der Beginn der Geschichte als recht zäh und langweilig erlebt wurde. Dann aber nimmt sie deutlich Fahrt auf und löste starke Gefühle aus: viel Mitgefühl für Sheherezades schwierige Familiensituation, aber auch Wut über die Ungerechtigkeiten, die sie erlebt. Eine empowernde Geschichte, die eventuell Mädchen in ähnlichen Situationen Mut macht, freier zu sein. Besonders das zine-artige Layout bzw. die tagebuchartigen Illustrationen kamen gut an.

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Holly Bourne: Spinster Girls – Was ist schon normal? (Band 1)

übersetzt von Nina Frey, 416 Seiten, dtv, 10,95 Euro, ab 14

als eBook erhältlich

ISBN-10: 3423717971 ISBN-13: 978-3423717977

Vielfaltsmerkmale: Leben mit einer psychischen Störung, Sexismus, Freundschaft, Identität

Kimi-Faktor: Das Buch sensibilisiert für den Umgang mit psychischen Störungen und zeigt, dass es nicht an Aufklärung, sondern eher an Distanzlosigkeit mangelt. Vorschnell werden Störungszuschreibungen vorgenommen, die ernsthafte Erkrankungen maginalisieren.

“Spinster Girls – Was ist schon normal” ist das erste Buch einer dreiteiligen Reihe, in der jeweils eine von drei Freundinnen die Hauptrolle spielt. In Band 1 ist das Evie. Sie möchte endlich ein “normales” Teenagerleben führen. Daran war bisher nicht zu denken, aufgrund einer Zwangsstörung ist ihr Leben komplett aus den Fugen geraten. Was das heißt? Evie hat mit dem Essen aufgehört, weil sie glaubte, dass in Lebensmitteln krankmachende Erreger stecken. Egal was sie anfassen musste, überall fasste sie in Krankmachendes. Eine kurze Erlösung war das sich Waschen. Immer und immer wieder. Jetzt können die Medikamente jedoch langsam abgesetzt werden und Evie freut sich darauf, sich zurück ins Leben zu stürzen. Auf ihre beste Freundin muss sie dabei jedoch verzichten: Jane hat nur noch Augen für ihren neuen Freund. Zum Glück trifft Evie da bei ihrem ersten Date (das sich als Katastrophe herausstellt!) auf Amber und Lottie. Genervt von den ganzen Jungsproblemen gründen sie den Spinster Club: Hier diskutieren sie über feministische Themen und machen sich gegenseitig stark. Dabei diskutieren sie heftig u.a. auch darüber, ob heterosexuelles Verlieben kompatibel sein können mit Feminismus, und wenn ja, was bedeutet das konkret? Von ihrer Krankheit erzählt Evie ihren neuen Freundinnen jedoch nichts – auch nicht, als es zu einem Rückfall kommt. Der über alles stehende Wunsch nicht aus der Norm zu fallen hindert Evie daran, sich ihrer Familie und ihren Freundinnen anzuvertrauen und bringt sie an ihre Grenzen. Nach und nach lernt Evie mit ihren negativen Gedanken umzugehen, lernt ihre Gedankenwelt selbst zu steuern, unterstützt durch ihre Familie, ihre Freundinnen und ihre Therapeutin, einen für sie machbaren Weg zu finden. Am Ende stellt Evie fest: Was ist denn eigentlich schon normal? Was das Buch auch zeigt, ist, dass der Umgang mit psychischen Erkrankungen gegenwärtig teilweise respektlos ist. So sind Menschen in unserer Gesellschaft zwar über einige psychische Krankheiten gut aufgeklärt, aber Wörter wie Zwangsstörung oder Panikattake werden maginalisiert und verharmlost, wenn sich Jede*r, die gern Ordnung hält und Angst vor einem Referat als „Zwangi“ oder als Mensch mit einer Panikattacke bezeichnet.

Das sagt die Jugendlichen-Jury:

Große Begeisterungsstürme für die Spinster Girls! Die ersten beiden Titel dieser Trilogie wurden von der Jury heiß geliebt. Die Idee, in jedem Band aus der Sicht eines der Spinster Girls zu erzählen kam bei den Jugendlichen gut an und es fiel ihnen leicht, sich in die beiden Mädchen hineinzuversetzen. Nicht nur der Schreibstil gefiel, auch das große verbindende Thema der Reihe „Feminismus“ wurde gut in die Geschichten integriert und regte die Leser*innen oftmals zum Nachdenken an. Während der zweite Teil vielen die Augen in Bezug auf Alltagssexismus öffnete, bot der erste Band zudem eine realistisch anmutende Darstellung des Themas Zwangserkrankung und schnitt das Thema Integrierung in der Gesellschaft an. Auch die Cover überzeugten die Jury auf ganzer Linie: Coole Covergestaltung und treffende Titelformulierungen. Der dritte Band wird sehnlichst erwartet.

Das sagt die Erwachsenen-Jury:

Psychische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft durchaus noch immer tabuisiert. Der Autorin gelingt es, einen Jugendroman zu schreiben, in dem Evies Zwangsstörung einfühlsam und nicht überpräsent thematisiert wird. Evie steht vor der gleichen Herausforderung wie alle Jugendlichen: das Finden einer eigenen Identität, das Bedürfnis nach Freundschaft und die Sehnsucht nach Liebe. Durch das Lesen dieses Buches bekommt man eine Ahnung davon, was es heißt, ein Jugendleben irgendwo zwischen scheinbarer Normalität und psychischer Erkrankung zu führen und eine Zwangsstörung neben allen sonstigen Irrungen und Wirrungen des Erwachsenwerdens zu meistern. Die flotte Sprache und humorvolle Szenen lockern das Buch auf und beweisen, dass auch tabuisierte Themen spannend erzählt werden können.

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